Wir erzählen von unseren Erfahrungen…

Blitzlichter aus meinem Leben als Schülerin und wie meine Eltern mich begleitet haben

Hannah Sophie Furian schreibt über Erfahrungen und Situationen aus ihrem Leben

Eine tolle Zeit, die ich nicht vergessen werde…

Meine Eltern bekamen Kontakt zur örtlichen Elterninitiative als ich 5 Jahre alt war. Wenn sich schon mal die Eltern kennen, ist der Kontakt der Kinder nicht weit!

So fand ich auch meine bis heute immer noch beste Freundin und noch viele weitere große und kleine Kämpfer und Kämpferinnen gegen die Aussonderung von Kindern mit Behinderungen und Einschränkungen.
Hier war ich im Gegensatz zu anderen Gruppen gleich eingebunden und ging mit den anderen behinderten Kindern dieser Elterngruppe zu Veranstaltungen, auf Freizeiten und auf Tagesausflüge. Eine tolle Zeit, die ich auch nicht mehr vergessen werde!

Meine Eltern waren dafür immer öfter Dienstagabends zu Treffen der regionalen Elterngruppe. Am Anfang war das vor allem meine Mutter, dann aber nahm mehr und mehr auch mein Vater daran teil. Ich dachte damals oft: „Warum machen sie das?“

Ich habe lange gebraucht um das zu verstehen und weiß heute mit Sicherheit, dass diese Treffen ihnen Trost und Kraft gegeben haben, weiter zu kämpfen.
Deshalb habe ich die unterstützt und fand es gut, dass es eine Gruppe zum Austausch gab.

Kämpfen um Gerechtigkeit, Rechtfertigungen und Erklärungen …

1994 kam ich in eine Regelschule, hatte alle Jahre einen Zivi als Begleitung an der Seite und, auch dank meines Charmes und dem unermüdlichen Einsatz meiner
beiden Elternteile und der Direktorin fanden sich Lehrerinnen, die das erste körperbehinderte Kind dieser Schule unterrichten mochten. Verrückt, dass so etwas
nicht selbstverständlich ist und die Klassenlehrerinnen tatsächlich hätten „Nein“ sagen können!

Mein Weg war immer sehr steinig und schwer. Meine Sehbehinderung sieht man mir nicht immer an und die Spastik verlangsamt auch das Fortbewegen in meinem
Rollstuhl. Der Schulwechsel ins Gymnasium kam und damit hörte das Kämpfen um Gerechtigkeit, Rechtfertigungen und Erklärungen so gar nicht mehr auf! Es ist eine Rehabilitationseinrichtung gewesen, die sich wegen zu geringer Nachfrage behinderter SchülerInnen nicht behinderten SchülerInnen öffnete und nach außen
„Top“ schien.

Sofort nach meinem Schulwechsel trat mein Vater dem Elternbeirat bei und so etwa gleichzeitig mit seiner Ernennung zu dessen Vorsitzenden, übernahm er auch den Vorsitz der LAG Ba-Wü. Jetzt diskutierten meine Eltern und ich oft über Integration, die Unfähigkeit von Ämtern oder die neuesten Ungerechtigkeiten und Ereignisse nicht nur aus meiner Schule.

An Samstagen und auch so war mein Vater nun oft weg, reiste durch Ba-Wü und half Eltern und ihren Kindern mit Behinderungen ehrenamtlich bei Ämtergängen und beriet nach besten Kenntnissen über Integration in Kindergarten und Schule. Er telefonierte auch viel mehr als vorher und verschickte Mitgliederbriefe und die Mitgliederzeitung „LAG UMSCHAU“. Ich half regelmäßig beim Eintüten und gab meinen Senf zu allem ab, was ich hörte, las und aufschnappte. Meine Perspektive war für diese Arbeit sehr hilfreich, denn ich bin diejenige, die die Behinderung hat und das alles auch erleben und ertragen musste.

…was für einige ganz offenbar neu schien

Im Februar 2003 hielten mein Vater und ich gemeinsam einen Vortrag und nahmen an einer Diskussion in der PH Heidelberg teil, bei der es vor Lehramtsstudierenden der Sonderpädagogik um meinen Lebensweg und Integration ging. Ich weiß noch, dass es sehr spannend war und ich sehr stolz auf mich war, den vielen Erwachsenen etwas erzählt zu haben, was für einige ganz offenbar neu schien.

2005 bis 2008 begleitete ich (und teils auch meine Mutter) meinen Vater auf den Integrationstag, den die LAG Ba-Wü seitdem einmal im Jahr ausrichtet. Ich saugte
alles in mich auf, teilweise gibt es noch Fotos, auf denen ich im Publikum sitzend zu sehen bin und lernte auch hier tolle Menschen kennen.

Wie andere nach der 10. Klasse auch absolvierte ich 2004 einen Aufenthalt mit Schulbesuch in Cambridge (England) und wohnte für vier Monate bei einer Gastfamilie, wovon es auch Bilder und Berichte, sowie Zeugnisse der Schule gibt.
Damit erregte ich allseits Aufsehen und natürlich gingen wir damit an die Öffentlichkeit, um Andere anzuregen und zu ermutigen, auch behinderte Jugendliche
nicht auszuschließen.

Trotz der vielen erschwerenden Umstände, wie nicht zuletzt zu wenig persönliche Assistenz im Unterricht, schaffte ich 2008 auch das Abitur!
Danke an meine Eltern und alle unterstützenden Wegbegleiter für ihre Geduld mit mir und ihr Durchhaltevermögen, ohne die ich das nicht gepackt hätte!

Netzwerke, Wissen und ein selbstbestimmtes Leben

Die Zeit, in der mein Vater die LAG Ba-Wü leitete hat mich geprägt und stark beeinflusst! Sie hat mir gezeigt, wie wichtig Netzwerke sind und in diesem Wissen erschuf ich mir mit meinem Auszug von zuhause 2008 ein selbstbestimmtes Leben mit persönlicher Assistenz nach dem persönlichen Budget in Berlin, wo ich bis heute lebe.

Es ist sicherlich kein Zufall, dass ich nach einem Praktikum im Theater RambaZamba von 2009 bis 2013 Rehabilitationspädagogik studierte.
Ich sagte mir: „Ich möchte Menschen mit Beeinträchtigungen helfen können, ein gutes und wertvolles Leben zu führen im Bewusstsein von Verschiedenheit und Andersartigkeit.“

Der Bericht von Hannah Sophie Furian ist im Februar 2014 entstanden.
Wir veröffentlichen ihn hier in einer neu überarbeiteten Fassung aus dem August 2018.