Das Abenteuer selbstbestimmt zu leben

Ein Erfahrungsbericht von Hannah Sophie Furian

Mehrere Abende hintereinander sitze ich vor dem Fernseher oder liege im Bett, wenn sie kommen, die Gedanken. Hier vermischen sich Wirklichkeit, also Gegenwart und Vergangenheit mit der Zukunft, den Wünschen und Träumen.In diesem Bericht möchte ich näher auf die noch frische Vergangenheit eingehen, denn in meinem Leben hat vor nicht allzu langer Zeit ein Schnitt stattgefunden. Ich bin bei meinen Eltern aus und in eine rollstuhlgerechte Berliner Wohnung eingezogen.

Mein Praktikum beim Theater für von und mit behinderten Menschen hat mir sehr viele neue Erfahrungen, Erlebnisse, Kontakt zu wunderbaren, netten Menschen geschenkt. Auch habe ich jedoch erfahren, wie verschieden Menschen und Situationen auf dieselbe Person – in diesem Fall mich – wirken können.

Unterschiedliche Menschentypen…

Unterschiedliche Menschentypen sind in meinen Kreis guter Bekannter und Freunde eingetreten Auch jetzt im Studium habe ich nette Begleiter*innen getroffen und scheine meinen Platz langsam zu finden. Ich merke jedoch immer wieder an verschiedenster Stelle, wie unglaublich stressig und ungewohnt es für mich ist, mich in dem ständigen schnellen Wechsel von z.B. direkt aufeinander folgenden Vorlesungen anzufreunden oder auch zu entscheiden, was genau in diesem Moment die wichtigste Aufgabe ist, die gerade jetzt getan werden muss.

In meiner Freizeit und Privatsphäre begleiten mich verschiedene Assistentinnen und Assistenten. Ich hatte Glück, denn mir ist vom Sozialamt das „Persönliche Budget“ gewährt worden, so dass ich mir meine Assistenz selbst einkaufen und entscheiden kann wer wann wie lange wie oft und wofür eingesetzt wird. Einen großen Teil  deckt ein ambulanter Pflegedienst ab. Dieser hat jedoch keine auf die Minute genau festgelegten Stunden und Abläufe, sondern funktioniert nach dem Prinzip, dass der Assistenznehmer bestimmt, was wann in welcher Art und Abfolge getan wird.

Selbstbestimmtes Leben pur!

Selbstbestimmtes Leben pur! Ob ich nun spazieren gehen will, einkaufe, in die Uni gehe, oder Freunde treffe, ich bin meine eigene Frau und kann mich weitestgehend selbstständig ausleben. Aber auch wenn es sich so leicht lesen lässt, so einfach ist es nicht, seine Grenzen auszuloten, einzuhalten bzw. zu überwinden. Wie weit kann man gehen? Wo ist Schluss? Wie kann ich diesen Konflikt lösen? Oft ist das ein Konflikt mit mir selber. Und schließlich die alles entscheidende Frage: Wie sagt man seiner Assistenz, was man gerade braucht, ohne das es missverstanden wird? Ohne nicht mehr, als gewollt ist, von seinem Privatleben preiszugeben?

Eine weitere wichtige Sache ist die Bezahlung und genaue Verabredung mit den Helfer*innen. Wer bringt mich wann dorthin und wer bringt mich wann wieder nach Hause. Wie kommen wir dorthin bzw. wo genau trifft man sich und wie kann man sich erreichen? Immer wenn ich irgendeine Kleinigkeit verschiebt, muss ich umdenken und anders planen. So kostet mich jeder Tag eine Menge Energie und Kraft! Mein Lebenstempo ist zwar in vieler Hinsicht langsamer, als das nichtbehinderter Menschen, jedoch kommt es mir momentan vor, als wäre es dadurch auch intensiver und sehr lebendig. Und weil der Mensch ein Mensch ist, drum darf er einfach so sein, wie er will!

Es ist schön, unabhängig zu sein …

Jeden der auch nur mit dem Gedanken spielt, irgendwo ein eigenständiges Leben zu beginnen, kann ich nur dazu ermutigen, denn es ist so schön, ein großes Stück weit unabhängig und frei zu sein! Netzwerke zu knüpfen und dabei „Vitamin B“ voll auszuschöpfen, sind meiner Ansicht nach hierbei der Schlüssel zum Erfolg! Ich danke all meinen Unterstützer*innen, besonders meinen Eltern und freue mich auf weitere und hoffentlich erfahrungsreiche aufregende Jahre in Berlin!