Unsere Bücherkiste zur Inklusion

Wir wollen die inklusive Gesellschaft. Das sollte im Kindergarten anfangen. Wenn sich Kinder mit und ohne Behinderung früh begegnen, wenn ihre Fragen selbstverständlich beantwortet werden, wenn sie ungezwungen miteinander aufwachsen, dann wird Inklusion für sie zur Normalität.

Mit dieser Bücherkiste für kleinere (Kindergarten) und größere Kinder (bis 12 Jahre) hoffen wir, Denkanstöße in diesem Sinne zu geben. Es ist nämlich ganz normal und menschlich, verschieden zu sein!

Die Bücherkiste ist nach Alter geordnet. Zu jedem Buch haben wir eine knappe Buchbesprechung gemacht, um die Lese-Auswahl zu erleichtern.

Die Hamburger Bücherhallen haben inzwischen ihre Bücher thematisch geordnet, aber noch sucht man den Bereich Inklusion vergebens. Dennoch, viele der von uns hier vorgeschlagenen Bücher kann man dort finden.

Wir lesen noch weiter für Euch.... Gern nehmen wir von Euch Buchvorschläge entgegen.

Kinder und Jugendbücher zur Inklusion – Unsere Empfehlungen

(z.T. in der Hamburger Bücherhalle vorhanden).

Besprechungen einzelner Titel könnt ihr weiter unten lesen.

Bücher, die mit einem Herz gekennzeichnet sind, sind neuer und werden besonders empfohlen

 

❤️Lilia: Entenblau (Ab 4 Jahre)

❤️Helme Heine: Der Hase mit der roten Nase (Ab 4 Jahre)

❤️Claire Alexander: Ein klein wenig anders (Ab 4 Jahre)

 

Dagmar Eiken-Lüchau : Mia, meine ganz besondere Freundin (Ab 5 Jahre)

Mira Lobe: Das kleine Ich bin ich (Ab 5 Jahre)

❤️Matthias Sodtke: Bist du krank, Rolli-Tom ? (Ab 5 Jahre )

Yvonne Hergane: Sorum und Anders ( Ab 5 Jahre)

❤️Elizabeth Shaw: Das kleine schwarze Schaf ( Ab 5 Jahre)

Maria Girón: Arthur und der Elefant ohne Erinnerung ( Ab 5 Jahre)

Anne Hassel: Wir gehören dazu ! (Ab 5 Jahre)

 

❤️Gerd Wolf: So Anders ( Ab 6 Jahre)

❤️Birte Müller : Planet Willi (Ab 6 Jahre)

❤️Stefanie Höfler: Die Eroberung der Villa Herbstgold ( Ab 6 Jahre)

Saskia Niechzial: Wilma Wolkenkopf (Ab 6 Jahre)

Silke Schnee, Prinz Seltsam (ab 7 Jahre)

Shari und André Dietz : Ich bin Mari (Ab 7 Jahre)

Corinna Fuchs, Ronald Gutberlet: Die bunte Bande- Gemeinsam sind wir stark (Ab 7 Jahre)

❤️Stéfanie Deslauriers: Levi blüht auf  (Ab 7 Jahre)

❤️Anja Freudiger: Mein großer Bruder Matti (Ab 7 Jahre)

Sonderausgabe: Die kleine Raupe Nimmersatt in Braille- und Druckschrift (Ab 7 Jahre)

Sonderausgabe: Der Dino in Braille- und Druckschrift  (Ab 7 Jahre)

Sonderausgabe: Die kleine Maus sucht einen Freund in Braille- und Druckschrift  (Ab 7 Jahre)

Sonderausgabe: Blöde Ziege - dumme Gans in Braille- und Druckschrift  (Ab 7 Jahre)

❤️Katrin Bühring, Lisa Sauerborn: Abie Alba, Der Junge Ottokar (Ab 7Jahre)

Patricia Mennen : Mutig, stark und selbstbewußt (Ab 7 Jahre)

 

Martina Dierks: Die Rollstuhlprinzessin (Ab 8 Jahre)

❤️Kathrin Lemmler, Stefan Gemmel: Kathrin spricht mit den Augen  ( Ab 8 Jahre)

❤️Hanna Zeyen: Phil, der Frosch (Ab 8 Jahre)

Quentin Blake: Freddy und die fantastischen fünf. (Ab 8 Jahre)

❤️Barbara Tschirren u.a. : ich bin Loris (Ab 8 Jahre)

Franz-Joseph Huainigg und Verena Ballhaus: Gemeinsam sind wir Klasse ( Ab 8 Jahre)

❤️Adele Sansone: Florian lässt sich Zeit (Ab 8 Jahre)

Igor Pohl: Rogi findet sein Glück (Ab 8 Jahre)

Corinna Fuchs : Die bunte Bande- Das gestohlene Fahrrad (zur Zeit vergriffen)

Max von der Grün : Vorstadtkrokodile (Ab 9 Jahre)

❤️Andreas Steinhöfel:Rico,Oskar und die Tieferschatten  (Ab 9 Jahre)

❤️Tom Lehel: Du Doof (Ab 9Jahre)

Renate Welsh: Drachenflügel (Ab 9 Jahre)

Peter Steinbach: Benni sprachlos (Ab 9 Jahre)

❤️Labor Ateliergemeinschaft: Ich so - du so (Ab 9 Jahre)

❤️Raul Krauthausen: Als Ela das All eroberte (Ab 9 Jahre)

Peter Härtling: Das war der Hirbel  (Ab 9 Jahre)

Julia Finley Mosca: Das Mädchen, das in Bildern dachte (Ab 9 Jahre)

Katya Balen, Mein Bruder und ich und das ganze Universum. 2019 (ab 11 Jahre)

 

Elisabeth Zöllner, Anton oder die Zeit des unwerten Lebens, 2004 (ab 12 Jahre)

Marianne Fredrikson: Sophia und Anders (Ab 12 Jahren)

❤️Sandra Roth : Lotta Schultüte ( für Erwachsene!)

Sandra Roth : Lotta Wundertüte (für Eltern!)

 

Die folgenden Bücher haben wir noch nicht besprochen:

 

Tom Belz ...: Kleiner Löwe, großer Mut.

Corinna Fuchs : Die bunte Bande- Das gestohlene Fahrrad (zur Zeit vergriffen)

Carolina Moreno: Paula und die  Zauberschuhe

Irmgard Partmann : Lilly gehört dazu 

Bettina und Sebastian Urbanski : Am liebsten bin ich Hamlet  

Sebastian Grusnick: Grüße vom Mars  

 

Wenn Ihr noch andere Bücher zu diesem Thema kennt und empfehlen wollt, dann schreibt uns bitte!

 

Jakob ist kein armer Vogel. Gabriele Heiser

1985, antiquarisch erhältlich

Die Autorin, eine Diplompädagogin, schrieb dieses Buch bereits 1999, nachdem sie selbst einen Sohn mit Behinderungen bekommen hatte. Sehr einfühlsam schildert sie die Geschichte von Jakob, einem Albatrosjungen, der nicht fliegen kann. Für einen Vogel ist das natürlich eine Katastrophe. Nun stellt sich für die anderen Albatrosse die Frage: Ist er denn dann überhaupt ein echter Albatros? Der Ältestenrat der Vogelkolonie stellt Jokobs Eltern ein grausames Ultimatum: wenn Jakob nach einem Jahr immer noch nicht fliegen kann, wird er über die Klippen gestoßen, was seinen sicheren Tod bedeuten würde.
Nun beginnt die verzweifelte - ein wenig sehr lange - Suche der Eltern nach einem Wesen, das ihrem Sohn doch noch das Fliegen beibringen kann. Tatsächlich lernt Jakob zu tauchen und Fische, also Futter zu fangen; er tröstet andere verlassene Jungtiere, aber fliegen lernt er nicht.
Der Schluss der Fabel ist durchaus überraschend, aber mutmachend.
Das Buch ist für Kinder ab 7 Jahren geeignet.

Kathrin spricht mit den Augen. Wie ein behindertes Kind lebt. Kathrin Lemler und Stefan Gemmel

2005

Zusammen mit Stefan Gemmel, dem Praktikanten in Kathrins Klasse in der Körperbehindertenschule, beschreibt Kathrin ihr
eigenes Leben, das sich durch ihre Infantile Celebralpantese (Schädigung des zentralen Nervensystems) deutlich von anderen Kindern unterscheidet: Sie sitzt im Rollstuhl, kann nicht sprechen und auch die Arme und Hände kann sie nicht gebrauchen. Aber mit den Augen kann sie kommunizieren.
Begleitet von Fotos aus ihrem 10. Lebensjahr beschreibt Kathrin sehr genau und verständlich, wie sie ihren Alltag trotzdem meistert. Natürlich gibt es auch lustige Begebenheiten in ihrem Leben, die sie sehr humorvoll erzählt.
Nachdenklich macht allerdings eine Bemerkung Kathrins am Ende ihres Buches: "Die Kinder meiner Klasse kann ich nachmittags nicht treffen, denn sie kommen alle von sehr weit her. Und die Kinder in unserer Nachbarschaft spielen nicht mit mir.... Deshalb fühle ich mich einsam. Das ist überhaupt das Schlimmste: nicht, dass ich nicht laufen kann; nicht, dass ich nicht sprechen kann; sondern, dass ich keine Freundin habe."

Im Nachwort erfährt man dann, dass Kathrin inzwischen ihr Abitur gemacht hat und Erziehungswissenschaften studiert. Ihre Bachelorarbeit schrieb sie über unterstützte Kommunikation. Und Freunde hat sie mittlerweile auch.

Die Eroberung der Villa Herbstgold, Stefanie Höfler

2022

Die Kindergarten Igel-Gruppe besteht nur aus 6 Kindern, den Mädchen Una, Sara,Leslie und den drei Jungen Önder, Ferdinand und dem Erzähler.
Die Gruppe plant mit ihren beiden Erzieherinnen einen Ausflug in die Villa Herbstgold, einem Altenheim. Dort wollen sie das Stück Hänsel und Gretel aufführen. Aber nicht für alle Kinder ist der Besuch im Altenheim eine Freude, da unter den alten Frauen auch böse Hexen sein könnten. Schließlich erfahren sie, dass im Heim  Leslies Opa wohnt. Das macht Mut. Der Besuchstag wird nun sehr lustig beschrieben, wobei es zu überraschenden Erkenntnissen kommt: Una hat Windeln entdeckt und eine Bewohnerin gefragt, wer die denn braucht. Frau Ursina hat sich zu ihr heruntergebeugt und geflüstert: "Ich...ich brauch die nur tagsüber." Prompt antwortet die kleine Una: "Und ich brauch die nur nachtsüber."  Großes Gekicher.

Die Illustration ist dem vergnüglichen Text entsprechend witzig gestaltet.
Die Begegnung zwischen den älteren Heimbewohnern, die natürlich auch altersbedingte Behinderungen haben, und den neugierigen Kindern ist für beide Seiten spannend und eine große Bereicherung.

Ein ideales Vorlesebuch ab 4 Jahren.

 

Mein Bruder und ich und das ganze Universum, Katya Balen

2019

Max ist erst 5 Jahre alt, sein großer Bruder Frank schon 10. Die englische Autorin lässt Frank sehr sensibel erzählen, wie sich das Leben der Familie mit dem autistischen Max abspielt: Die Mutter kann nicht mehr arbeiten, man muss ständig Rücksicht auf Max nehmen, weil alles zu laut, zu bunt,  zu viel für ihn ist. Am Ende rastet der Kleine dennoch regelmäßig  aus, wofür sich Frank vor seinen Klassenkameraden schämt. Natürlich fühlt sich Frank zutiefst schuldig, wenn er seinen kleinen Bruder nervig findet und ihn nicht vor dem Spott der anderen schützt. Dabei wird aber auch immer wieder sichtbar, wie sehr er seinen kleinen Bruder Max liebt und sich über die kleinsten Fortschritte mit ihm freut.

Das Faszinierende an diesem Buch ist, dass es der Autorin gelingt, den Lesenden fast zu einem Familienmitglied dieser besonderen Familie werden zu lassen. Man leidet mit, man ist machtlos  und kann nichts ändern,  aber man sieht die Not und bleibt tief berührt zurück. Allerdings sollte die Lektüre eng begleitet werden, denn im Buch geht es nicht nur um ein behindertes Geschwisterkind sondern auch um den Tod der Mutter.

Geeignet für Kinder ab 11 Jahren.

Als Ela das All eroberte. Adina Herrmann, Raul Krauthausen

2024

Das Kinderbuch von Adina Hermann und Raúl Krauthausen ist insofern ein Novum, als beide Autoren - genau wie ihre Protagonistin Ela - eigene Erfahrungen mit dem Leben im Rollstuhl haben. Die kleine Grundschülerin Ela kommt sehr autentisch, humorvoll und selbstbewußt daher; mit ihrem Schul-Freund Ben träumt sie ihren Traum, Astronautin zu werden. Gemeinsam überlegen die Kinder, wie sie für den späteren Eignungstest schon einmal üben könnten. Animiert werden sie von einem Klassenausflug ins Planetarium.
Als Ela bei einer Schwerelos-Übung im Schwimmbad dann an ihre Grenzen stößt, muss sie erkennen, dass sie vielleicht andere Wege einschlagen muss, um ihrem Traumziel näher zu kommen, aber keinesfalls einfach aufgeben!
Am Ende sagt sie :"Ich werde das All erobern. Ich weiß nur noch nicht genau, wie." Bis hierher ein mutmachendes, lesenswertes Kinderbuch für Kinder ab 7 Jahren.

Dass Ela super Eltern und einen tollen Onkel hat, die scheinbar alles richtig machen, dazu einen relativ farblosen Freund (Ben), der Ela nur bewundert und verteidigt, ist schon etwas weit weg von der Realität. Die Schilderung der gutmeinenden Nachbarin, die mit unerwünschten Geschenken und überholten Ansichten nervt, passt wenig in eine differenzierte Sichtweise, wie man sie sich für Ela wünscht.
All die Auflistung der Raumfahrt-Fakten täuscht nicht über eine Intension des Buches hinweg: wie geht man mit Menschen, die im Rollstuhl sitzen, um? Deshalb gibt es am Ende des Buches neben dem Faktencheck (eigentlich überflüssig, weil alles bereits in der Geschichte steht), noch eine Art Interpretation und Erklärung, wieso? weshalb ?warum? und wie man mit Ela am besten umzugehen hat. Auch das erscheint mir völlig überflüssig, denn alles "lernt" man bereits aus der Geschichte.
Dass die erste Frau im All eine regimetreue, unkritische Russlandfanatikerin war, bleibt übrigens unerwähnt.
( Viola Kleffel)

Ich bin MARI. Shari und André Dietz

2022/2024

Mari lebt mit ihren 3 Geschwistern , 2 Hunden und ihren Eltern zusammen. Wie ihr Alltag abläuft, das "erzählt Mari" in diesem Buch.
Eigentlich erzählen es ihre Eltern, denn Mari kann nur lautieren. Mari hat Epilepsie und das Angelmann-Syndrom, einen seltenen
Gendefekt. Dadurch unterscheidet sich ihr Leben in manchen Punkten von gleichaltrigen Kindern. Mari spricht nicht wie die meisten Menschen. Kommunizieren und mitteilen kann sie sich trotzdem: Über Lautieren, über Gesten oder über ein Tablet. Mari benutzt auch manchmal einen Rollstuhl, obwohl sie laufen kann.
Maris Besonderheiten werden sensibel und kindgerecht erklärt, um Empathie aufzubauen und mögliche Berührungsängste abzubauen. Denn auch das erlebt Mari hin und wieder, dass sie als Monster angestarrt wird oder Kinder vor ihr wegrennen.
Dabei gibt es viele Gemeinsamkeiten mit anderen Kindern: Mari liebt Süßigkeiten und geht wie jedes Kind in die Schule, allerdings in eine besondere Schule. (Mari besucht in Nordrhein-Westfalen eine Förderschule, obwohl die Eltern Diez Inklusion befürworten.)
Maris eigene Wörter/Laute fließen immer wieder in den Text mit ein. So kann man Maris "Kommunikation" selbst ausprobieren und nachempfinden.
Daneben sind die Bilder in dem Buch sehr liebevoll gestaltet und vermitteln das Gefühl einer sehr lebensfrohen Familie. Fröhlichkeit ist eine besondere Eigenschaft von Mari.

Zum Vorlesen ab etwa 4 J.

Prinz Seltsam, Silke Schnee

2018, vergriffen, antiquarisch erhältlich

Das Märchen von Prinz Seltsam schrieb die Journalistin Silke Schnee. Sie ist selbst Mutter von drei "Prinzen", von denen der jüngste Trisomie 21 hat. In ihrem zweiten "Märchenbuch" greift sie humorvoll das deutsche Bildungswesen an, das die Kinder nach körperlichen und kognitiven Eigenschaften sortiert und beschult. So besteigen in ihrem Märchenbuch zum Lernen alle Prinzen und Prinzessinnen gut sortiert verschiedene Schulschiffe: die Langsamen, die Einbeinigen, die Einäugigen, die  Mädchen etc. Leider geraten im Laufe der Geschichte alle Schulschiffe in die Hände von Piraten und alle Kinder werden zusammen in einem Turm eigesperrt. Aber gemeinsam gelingt ihnen das Unglaubliche: die Flucht!

Gemeinsam und gerade wegen ihrer Verschiedenheit schaffen die Kinder es, ein Schiff zu finden, ihre Lehrer zu befreien und heim zu segeln. Und abgesehen davon macht miteinander und voneinander zu lernen viel mehr Spaß für alle. Und dies ist eben kein Märchen!

Ansprechend bebildert ist das Buch geeignet für Kinder ab 7 Jahre.

 

 

Das war der Hirbel. Peter Härtling

1973, noch erhältlich

Der Hirbel ist 9 Jahre alt, sieht aber aus wie ein 6jähriger. Eigentlich heißt er Karl-Otto, aber alle nennen ihn nur Hirbel, und keiner mag ihn wirklich gern. Die Mutter hatte ihn in ein Durchgangsheim gegeben, der Vater war unbekannt. Alle Versuche, Hirbel bei Pflegeeltern unterzubringen, waren gescheitert:
Der Hirbel war eine Zangengeburt und wurde als körperlich/geistig behindert eingestuft. Angst haben alle anderen Kinder und Erzieherinnen, wenn der Hirbel - wahrscheinlich ausgelöst von starken Kopfschmerzen, gegen die er massenhaft Tabletten nehmen muss - seine Wut-Anfälle hat, die er selbst nicht kontrollieren kann. Trotz seiner geringen Körpergröße, hat der Hirbel große Kraft, die er dann auch gut gegen seine Feinde einsetzen kann.
Peter Härtling schildert sehr sachlich das Heimleben, in dem dieser Hirbel zurecht kommen muss. Man bemüht sich dort, etwas Gutes im´Hirbel zu finden und entdeckt seine musikalische Begabung, aber wirklich verstehen kann ihn keiner und, wie gesagt, lieben tut ihn auch niemand.
Das aber ist das Anliegen von Peter Härtling, der Kinder beobachtet und beschreibt. In einem Nachwort für Kinder schreibt er auf die Frage, warum der Hirbel und andere Heimkinder so "schlimme" Sachen machen: "Wir haben keine Geduld. Sie könnten in Kindergärten mitspielen, wenn alle Rücksicht nähmen und sich niemand über sie lustig machte."
Da die Geschichten über den Hirbel bereits 1973 erschienen sind, waren inklusive Schulen noch wenig bekannt. Die positve Entwicklung im Umgang mit Kindern, die eine Behinderung haben, dürfte Härtling aber noch miterlebt haben, denn er ist erst 2017 gestorben. Umso erstaunlicher, mit welcher sachlichen Eindringlichkeit er schon damals die Problematik erkennt, beschreibt und nach Lösungen sucht.
Das leicht zu lesende Buch eignet sich hervorragend als Diskussionsgrundlage in Gruppen zum Thema Inklusion.
(Allein in Hamburg gibt es übrigens noch 41 Kinderheime.)

Die Rollstuhlprinzessin. Martina Dierks.

1997, antiquarisch erhältlich

Mit bunten Bildern und großer Schrift ist die Rollstuhlprinzessin auch für ganz junge Leser geeignet. Zwei alleinerziehende Mütter machen mit ihren Kindern gemeinsam einen Strandurlaub an der Ostsee. Die 7jährige Kitty und ihr kleiner Bruder Daniel (5) freuen sich auf Laura, die Tochter von Mamas Freundin Bea.
Aber schon bei der Anreise im Auto kommt es zu kleinen Sticheleien zwischen den Mädchen. Schließlich begreift Kitty, dass Laura nicht nur eingebildet ist, sondern zum Laufen einen Rollstuhl benötigt. "Warum hat ihr denn keiner gesagt, dass Laura behindert ist? Dann wäre Kitty auf jeden Fall mit Papa verreist." Daniel und Laura hingegen verstehen sich auf Anhieb; sie scherzen miteinander, was Kitty natürlich gar nicht gefällt. Und dann kommt da noch ein Hund am Urlaubsort ins Spiel. Leider hat Laura panische Angst vor ihm, während Kitty begeistert ist.
Etwa in der Mitte des Buches, finden die beiden Mädchen dann doch zueinander.
Es ist ein wenig märchenhaft, dass Laura zur Lebensretterin wird und überdies noch ihre Angst vor dem Hund verliert. Dennoch ist durchaus sensibel geschildert, wie andere Gäste sich verhalten und dass Laura ihre Behindertenrolle der Mutter gegenüber ein wenig ausnutzt... Ein Buch, das besonders kleinen Mädchen gefallen wird.

Ein klein wenig anders. Claire Alexander

2021

Unter "Miteinander" Bilderbuch findet man dieses auch für ganz junge Leser geeignete Buch. Die luftballonähnlichen Wesen, Plufer genannt, verhalten sich beim Ausatmen auf Kommando alle gleich, nur ein Plufer, der schon durch seine gelben Schuhe auffällt, macht nicht pluuuf, sondern schuuuf, also ein Schufer. Das ist jetzt ein Problem für die Plufer, die das Anderssein so gar nicht kennen. Erst als ein Wesen auftaucht, das keine typische Luftballonform hat, das eher wie Brotlaib aussieht, findet der kleine Schufer selbst Gefallen an seinem Anderssein...und Tun.

Graphisch ist das Buch sehr ansprechend. Schon der dicke Pappeinband hat das Wort "anders" ausgespart und farbig hinterlegt, so dass kleine Finger es nachspüren können.

 

Du Doof? Tom Lehel

Auch ich wurde gemobbt. 2018

Es geht um den Umgang miteinander. Tom Lehel erzählt äußerst humorvoll von seinen bitteren Erfahrungen in der Schule. Er war 7 Jahre alt, klein und dick, schiefe Zähne und viel zu viele Haare auf dem Kopf, kurzum, das ideale Mobbingopfer.
Aber der kleine Tom weiß sich zu wehren und ermutigt auch andere, dies zu tun. Im Laufe der Schulzeit, von Klasse 1 bis zum Abitur, verschafft er sich mehr und mehr Respekt.
Leider wird es nicht einfacher in den höheren Klassen : durch einen schweren Unfall wird ihm die rechte Hand fast komplett abgerissen. Jahrelang wird die Hand mehrfach operiert und bleibt lange unbrauchbar. Mit einer Hand kann man aber keine Jeans öffnen, also auch keine coolen Klamotten, geschweige denn Schuhe tragen. Und auch am Ende dieser Leidenszeit bleibt seine Hand auffällig anders. Der Vater seiner ersten Freundin, ausgerechnet ein Lehrer! , benutzt dann das K-Wort, als Krüppel habe man es nicht leicht... Diese Bemerkung hat Tom so tief verletzt, dass er Jahre braucht, um sein Selbstwertgefühl wiederzufinden, aber gebrochen wird er nicht.


Dieses Mut-Macher-Buch und seine zahlreichen Stiftungen, um Mobbing zu stoppen und Kinder zu stärken, sind der Beweis.
Die schräge Druckschrift und die kurzen Abschnitte des Buches, dazu die witzigen Zeichnungen sind sehr gut für Erstleser geeignet. Und: es ist endlich ein Buch, das besonders Jungen anspricht. Ein wenig erinnert die Aufmachung an Gregs Tagebuch, aber es geht Tom Lehel bei allem Humor vor allem darum, die Jungs zu stärken, die von vermeintlich coolen, stärkeren Mitschülern und gewissen Lehrern! bösartig niedergemacht werden.

So Anders. Gerd Wolf und Martina Spangenberg

2019

So ganz anders ist das bestrumpfte kleine Brillenschaf, das Bauer Keese eines Tages zu seiner Schafherde bringt. Dann fährt der Bauer in seinem grünen Traktor davon. Jetzt herrscht große Aufregung, wieso heißt das Lämmchen So Anders und seine Eltern heißen Sehr und Ganz Anders. Und seine Heimat heißt Woanders.
So Anders wird zum Problem. Die Schafe fragen sich: Was will der (hier) von uns? Kann der nicht zum Nachbarn gehen? Frisst der uns alles Gras weg? Der macht uns nur Ärger... Aber einige denken auch: Er ist ein armer Kerl. Richtig gefreut über das neue Lamm haben sich eigentlich nur die anderen kleinen Lämmer.
Und dann erweist sich das Brillenlamm als sehr, sehr nützlich, aber das muss man selber lesen...

Zum Vorlesen und selbst lesen.

Lotta Schultüte. Sandra Roth.

Mit dem Rollstuhl ins Klassenzimmer, 2018

Das ist kein Kinderbuch, sondern ein Eltern-Lehrer-Mutmacher-Buch. Sandra Roth schreibt von ihrem Sohn Ben und seiner schwerstbehinderten Schwester Lotta. Lotta, die so herzlich lachen kann und Grübchen hat, Lotta, die nicht allein sitzen, geschweige denn gehen kann, die nur Brei essen kann, die nicht sprechen und nicht sehen kann.
Familie Roth sucht nun die richtige Schule, nachdem Lotta einen Regelkindergarten besucht hat. Dort hat sie Freunde gefunden und Verständnis und durch die Anregung der anderen Kinder und der vielen Pädagogen eine gute Entwicklung geschafft. Jetzt muss Sandra Roth feststellen, dass es die Wahl zwischen Sonderschule und inklusiver Beschulung auf einer Regelschule gar nicht gibt: Ein so schwer behindertes Kind überfordert die inklusive Regelschule: es gibt an der inklusiven Regelschule keine Wickelräume oder Therapieräume und das ist wohl auch nicht in Planung...
Anders ausgedrückt: Hier will man Lotta nicht!
Ein sehr gut recherchiertes und aufklärendes Buch. Dazwischen immer wieder die Gedanken und Zweifel, die Eltern bei solch wichtigen Entscheidungen haben. Trotz der Ernsthaftigkeit der Thematik schildert Sandra Roth teilweise Situationen so humorvoll, dass man beim Lesen laut lachen muss.
Lotta hat das große Glück, von ihrer Familie über alles geliebt zu werden, so, wie sie ist. Die Familie nimmt Lotta mit hinaus in die Welt, nach Italien, Frankreich und Amerika. Und überall gewinnt Lotta Menschen für sich, weil sie so charmant ist wie Lotta eben ist.
Einmal fragt Sandra Roth: Lotta ist bereit für die Welt; aber ist die Welt auch bereit für Lotta? Ein Buch für alle, die Inklusion wollen.

Das kleine schwarze Schaf. Elizabeth Shaw

Beltz, Der KinderbuchVerlag, 2005

In einer Herde weißer Schafe gibt es ein einziges schwarzes Schaf. Das wäre gern auch weiß wie die anderen, aber der Schäfer mag es gerade so, wie es nun mal eben ist, ein bisschen anders.
Im Laufe der Geschichte stellt sich dann aber heraus, dass es ein Glück ist, dass eines der Schafe ein schwarzes Fell hat. Auch wenn der Hütehund gern alle Schafe weiß hätte und am liebsten das Schwarze verkaufen möchte, macht der Schäfer etwas ganz anderes: Er kauft noch mehr schwarze Schafe und hat jetzt eine hübsche schwarzweiße Herde, in der jedesTier einmalig gemustert ist.

Ein Vorlesebuch ab 4 Jahren, ansonsten Grundschüler ab Klasse 2.

 

Abie Alba. Der Junge Ottokar. Kathrin Bühring

2024

Die Serie Abie Alba beschäftigt sich mit der Lebensgemeinschaft von Tieren und Bäumen im Wald. 

Dieser Band schildert sehr anschaulich das Leben von Ottokar, der in einem Rollstuhl sitzt und nur mit einem Talker kommunizieren kann. Ganz im Gegensatz zu den Waldbewohnern helfen sich die  Dorfkinder auf dem Waldspielplatz überhaupt nicht, sie grenzen den  sabbernden Ottokar aus, sie machen sich sogar lustig über ihn. Ottokar flüchtet in den Wald und erlebt nun die Zuwendung und Hilfe von der Tanne Abie Alba Junior. Sofort übernimmt Ottokar diese menschliche Haltung und versucht, ein verlassenes Rehkitz zu retten. Dabei unterstützt ihn Hilma, die das Verhalten der Dorfkinder im Nachhinein als blöd empfindet und sich deshalb bei Ottokar entschuldigt.

Natürlich wird das Rehkitz gerettet. Für mich hätte hier die auf einer wahren Geschichte beruhende Erzählung vom Jungen Ottokar enden können. Aber nun wächst Ottokar über sich hinaus und will noch mehr für den Wald tun. Das Ende der Geschichte ist freundlich: Ottokar gewinnt den Respekt und die Freundschaft der Dorfkinder.  Der Text ist gut lesbar und die farbenfrohe Graphik, die an Comics erinnert, gut gemacht.

Empfohlen für Kinder ab 6 Jahren.

 

 

Ich bin Loris. Barbara Tschirren u.a.

2015

Loris geht mit anderen Kindern in eine Regelschule. Dennoch ist er durch seine Autismus-Spektrum-Störung ein bisschen besonders: Er mag keinen Lärm, er ist gern für sich allein,  er ekelt sich vor ganz vielen Speisen. Besonders wichtig ist ihm, dass jeder Tag gleich und vorhersehbar verläuft, Unordnung und Spontanität sind ihm verhasst. Obwohl Loris anders als seine Klassenkameraden ist, möchte er keinesfalls ausgegrenzt sein. Seinen Freund Leo, der ein großer Fußballspieler in den Pausen ist, bewundert und beobachtet er, aber am liebsten aus der Ferne. Eine große Herausforderung für Loris ist die Teamarbeit. Mit seinem Freund Leo und der ruhigen Annika wagt er es trotzdem: Sie wollen über die Nachbarkatze Albert berichten. Doch Albert ist seit zwei Tagen verschwunden. Dank Loris exakter Beobachtung gelingt es, Alberts Geheimnis zu lüften...

In einfachen Worten schildert Loris selbst in diesem Buch, wie er seine Umgebung wahrnimmt und wo seine Grenzen sind. Und die Geschichte zeigt auch, dass  Mitschüler und Mitschülerinnen, die Loris Besonderheiten kennen, wunderbar mit ihm klarkommen. Beim Lesen merkt man, dass Loris für alle eine Bereicherung ist.

Geeignet für Kinder ab 8 Jahren.

 

 

Bist du krank, Rolli-Tom? Mathias Sodke

Verlag Ute Fuchs, 2021

Der im Zauberrollstuhl sitzende Hase Tom trifft seinen alten Schulfreund Nulli wieder.
Gleich will dieser aus Mitleid mit dem "Kranken" diesen höchst übergriffig bemuttern. Da schreit ihn Tom plötzlich an: Ich bin nicht krank, Ich kann nur nicht laufen. Was an mir kaputt ist, das sind nur meine Beine!
Der grüne Freund Priesemut hat ganz andere Wünsche: Er will auch mal in dem Zauberrolli fahren ....
Und jetzt wird es wirklich inklusiv:
Lest selber, was die drei zusammen
machen.....
Für die ganz Kleinen.

Drachenflügel. Renate Welsh

dtv Erstausgabe 1992

Anne, die Protagonistin des Romans, ist ein einsames, schüchternes, stilles Mädchen, das mit ihrem schwerstbehinderten älteren Bruder Jakob und den Eltern recht isoliert lebt. Die Pflege des 17jährigen fordert von der Mutter viel Zeit und Kraft: Jakob muss gefüttert und gewindelt werden, er sitzt im Rollstuhl und kann den Kopf nicht aus eigener Kraft halten. Immer wieder bekommt er Krampfanfälle, die die Familie in Panik versetzen. Anne fühlt sich nicht nur verpflichtet, die Eltern bei der Pflege zu unterstützen, sie liebt Jakob aus ganzem Herzen, versteht seine "Sprache" und weiß genau, was ihm gefällt und ihn zum Lachen bringt.
Genau so sensibel wie ihre Mutter, stört sie das klebrige Mitleid, das andere Menschen Jakob gegenüber zeigen; aber auch interessierte Nachfragen von Anderen sind ihr peinlich. Mit dieser Haltung verhindert sie jegliche Kontaktaufnahme, ist auch in der Klasse sehr isoliert. Da kommt Lea in ihre Flötengruppe und es scheint, dass Lea Anne aus ihrer Isolation lockt. Sie lässt sich von Annes Zurückhaltung nicht abschrecken, zeigt ihre Gefühle für Anne und lässt sich auch von Jakob nicht abhalten...
Das Buch zeigt die oft wenig beleuchtete Geschwistersituation, wenn eines der Kinder behindert ist. An der völlig überarbeiteten Mutter kann Anne sich nicht anders orientieren. Es fehlt an mutigen Vorbildern, die allen Beteiligten ein freieres Eigenleben ermöglichen würden.

Das Buch wurde vor etwa 30 Jahren geschrieben, damals war eine inklusive Gesellschaft wohl noch ganz undenkbar. Dabei zeigt Lea, wie einfach alles sein könnte...
Übrigens: zu diesem Buch gibt es ein Unterrichtsmodell.
(Altersempfehlung 11-13 Jahre)

Florian lässt sich Zeit. Adele Sansone

2002

Diese Geschichte für Kinder ab 4 Jahren erzählt von Florian und seinem Bruder Peter in einem österreichischen Kindergarten-Umfeld, wo die Eigennamen der Kinder mit Artikel genannt werden und das Frühstück Jause heißt. Florian sieht etwas anders aus, kann noch nicht alles, was andere können und ist sehr langsam, aber sein Bruder erklärt den anderen, dass Florian sich eben Zeit lässt. Und natürlich hat Florian auch eine Eigenschaft, die ihn ganz besonders macht. Gummibärchen spielen dabei eine wichtige Rolle.  Der Untertitel erklärt (für Eltern und andere Erwachsene?), dass das eine „Geschichte zum Down-Syndrom (Trisomie 21)“ ist. Auf der letzten Seite gibt es dazu noch sachliche Informationen zum Down-Syndrom. Leider steht dort noch ( das Buch ist 2002 geschrieben) der alte Fehler, dass „gesunde Kinder und deren Eltern“ für das Zusammenleben mit Kindern mit Down-Syndrom sensibilisiert werden sollen, obwohl eine Zeile vorher davon die Rede ist, dass das Down Syndrom keine Krankheit ist.

Insgesamt ein nettes Buch zum Vorlesen für Kindergartenkinder, aber für meinen Geschmack etwas zu aufdringlich pädagogisch.

(Camilla)

Planet Willi. Birte Müller

Klett Kinderbuch 2012

Willi ist ein kleiner Junge mit einer geistigen Behinderung. Er kommt von einem anderen Planeten, wird erklärt, er lernt und lebt ein bisschen anders als die Erdenkinder. Untermalt mit witzigen Bildern lernen wir ganz viele Eigenschaften und Gewohnheiten von Willi kennen, zum Beispiel wie er küsst, wie er Musik macht, wie er in Willisprache spricht und mehr. Auch von seinen Eltern erfahren wir einiges und von seiner kleinen Schwester Olivia. Es gibt viel zu lachen beim Lesen, aber auch Nachdenkliches zu lesen: "Eigentlich ist es blöd, dass wir versuchen, Willi beizubringen, alles so schnell zu machen wie in unserer Welt. Wir könnten ja auch mal versuchen, alles in Ruhe und langsam zu tun wie auf seinem Planeten."

Die Bunte Bande - Das gestohlene Fahrrad. Corinna Fuchs und andere

Carlsen Verlag. Ein inklusives Kinderbuch auch in Braille-Schrift und Leichter Sprache

Das von Aktion Mensch geförderte Kinderbuch ist in mehrfacher Weise inklusiv: Neben der gedruckten Geschichtegibt es hinter dem Druck alles in Brailleschrift.
Zudem gibt es blaue Seiten, die den Text inleichte Sprache übersetzen und schwere Wörter erklären. Und die Geschichte selbst ist natürlich auch inklusiv und spannend, genau wie die Kinderbande, die erfrischend divers ist. Die bunte Bande ist dank ihrer  unterschiedlichen Stärken ein super Team. Sehr geeignet für Grundschul-Klassen und Gruppen, die inklusiven Unterricht lieben.
Natürlich gibt es das Brailleschrift-Alphabet am Ende, damit man auch im Dunkeln lesen kann....

 

Entenblau. Eine Geschichte von Lilia

München 2001

Hier noch ein etwas anderer Buchtipp, wie man Kindern, auch kleinen schon, Demenz (vielleicht der Großeltern?) anschaulich machen kann:
Das zauberhaft, nur in Blau- und Grautönen gezeichnete Bilderbuch erzählt die Geschichte von einer Ente und einem Krokodil. Das verlassene Krokodilkind wird von der Ente aufgenommen und auf das Leben vorbereitet. Das Krokodil wächst heran. „Aber dann, eines Tages, begannen die Erinnerungen der blauen Ente zu verblassen“. Nun kümmert sich das Krokodil um die Ente und versucht, seine Erinnerungen wachzuhalten. Die Gewissheit der gegenseitigen Liebe, die dargestellt wird, vermindert den Eindruck des traurigen Endes und ist damit auch schon 3-jährigen vermittelbar.

Vorstadtkrokodile. Max von der Grün

1976, noch erhältlich. Eine Geschichte vom Aufpassen

Die bereits verfilmten Vorstadtkrokodile sind eine Kinderbande, die im Laufe der Geschichte - trotz anfänglich großer Bedenken - Kurt bei sich aufnimmt: Kurt sitzt im Rollstuhl und das "behindert" die wilden Jungs, die am liebsten auf dem verbotenen Ziegeleiwerk-Grundstück (Einsturzgefahr!) spielen oder mit den Fahrrädern herumrasen.
Auch der Weg in ihre selbstgebaute Waldhütte ist für den Rollstuhl nicht geeignet. Aber der jüngste Krokodiler neben Maria (die nur mitmachen darf, weil sie die Schwester von Olaf, dem Anführer ist), der zehnjährige Hannes gibt nicht auf, denn er hat Kurt zuhause besucht und ist beeindruckt von ihm. Wie Kurt ein Krokodiler wird ist erstaunlich sachlich beschrieben und spart auch pikante Details nicht aus: Zum Beispiel muss Kurt einmal unterwegs pinkeln....
Das Buch erschien bereits 1977. Es hat etwas Antiquiertes an sich, wenn zum Beispiel die Mutti etwas durch die Schneiderei dazu verdienen will, weil das Gehalt des Vaters nicht reicht, wenn die beschriebenen Arbeiterfamilien keinen Telefonanschluss besitzen und die Kinder sich mit einer Thermoskanne Tee und belegten Broten ausgerüstet auf Verbrecherjagd begeben. Es geht um Kofferradios, Fernsehapparate und Konservendosen und man rechnet in D-Mark. Aber trotzdem ist die Geschichte spannend und gut erzählt und eignet sich auch heute noch hervorragend als Vorlesebuch in der Grundschule.

Anton oder die Zeit des unwerten Lebens, Elisabeth Zöllner

2004

Für Kinder mit einer Behinderung war ein normales Leben während der Nazizeit unmöglich: Ein Teil wurde gleich nach der Geburt getötet, andere sobald sie in der Öffentlichkeit gesehen wurden, wieder andere zu medizinischen Versuchen missbraucht. Nun also ein Kinder- und Jugendbuch über einen behinderten Jungen im sogenannten 3.Reich. Elisabeth Zöller hat dieses Buch geschrieben, weil sie einen Onkel hatte, der den Unrechtsstaat überlebt hat, weil seine Eltern und einige Nachbarn sich mit Klugheit und Glück dem Regime widersetzten.

Sehr feinfühlig beschreibt die Autorin, wie Anton trotz seiner Behinderung in die Schule kommt, aber mehr und mehr ausgegrenzt und gedemütigt wird, weil er nicht dem gewünschten Bild eines deutschen Jungen entspricht, gepeinigt von Lehrern aber auch von Mitschülern. Nur der Judenjunge David wagt es noch, mit ihm zu spielen.

Die Autorin schildert die Situation ohne zu beschönigen. Trotzdem lenkt sie  den Blick manchmal auch auf die andere Seite, auf Willi z.B., der Anton gern beschützt hätte, aber nicht durfte, auf die Nachbarschaft, die der Familie heimlich hilft.

Anton ist ein Buch, das die Erinnerung an die Vergangenheit wach hält. Am Ende wird deutlich, wie wichtig es ist, für die Demokratie und für die Rechte eines jeden Menschen zu kämpfen und damit auch für die Teilhabe eines jeden Menschen - ohne jede Einschränkung. Empfohlen ab 12 Jahre